Warum wir Zauber(er) brauchen
Tazio Torrini taumelt in „Der Illusionist“ durch ein Endzeit-Szenario Fotos: Marco Ehrhardt
Kiel. Manchmal kommt man im Theater zu den Grundfragen zurück.
Warum versammeln sich hier Menschen, um einen anderen Menschen auf kleinem Raum Dinge tun zu sehen? Ihn etwas behaupten, ihn sprechen und agieren zu hören, herumrührend in Requisiten, uns mit lauten Geräuschen konfrontierend und das alles in einer Sprache, die nicht immer verständlich ist?
Es ist ganz einfach. Weil wir diesen Zauber, diesen Zinnober, diesen Zirkus brauchen. Weil es so furchtbar faszinierend ist. Weil wir nun mal gern Menschen anschauen. Live. Sinnlich erlebbar, atmosphärisch spürbar. Weil wir neugierig sind . Auf Bilder, auf Körper, auf Seelen. Hoffentlich auch immer auf unsere eigene, für die ja bei einem Festessen statt Fastfood auch immer ein Stückchen abfällt.
Es ist zum Beispiel das kompakte Stündchen Fremdsprache plus Bildersturm, das der Italiener Tazio Torrini im Schauspielhaus-Studio am Donnerstag Abend zum Besten gab.
Es sind die zwei Müllhaufen von Kleidung, links Klamotten, rechts Schuhe, hinter denen er als dubioser Magier zur dissonanten Kakophonie aus Dröhnen, Laustsprecherdurchsagen und schrillen Flötentönen hervorkriecht.
Ein Absperrgitter im Hintergrund, das auch über ihm schweben könnte, denn er ist als durch den Rost in den Untergrund Gerutschter, ein im Unrat Vergessener der Zivilisation, der sich hier versteckt oder auf der Flucht ist.
Es ist seine Bühnenpräsenz und Suggestion, das expressive Stakkato des Italienischen und seine permanente Bewegung, die nur selten zum Stoppen kommt, die diese Szenenabfolge reizvoll macht.
„Ich hab kaum etwas verstanden, aber es war gut gespielt“ sagt eine Seniorin im Schlussapplaus zu ihrer Nachbarin. Hie und da wurde auf die Uhr geguckt, Pastillendosen gezückt, ein bisschen mit sich gekämpft. Wer wollte, konnte das Infoblatt überfliegen, mit dem die elf Szenen fragmentarisch zusammengefasst wurden.
Doch ist das wirklich wichtig?
Die Suggestion einer postapokalyptischen Szenerie stellt sich durch Musik und Kulisse ein, die Panda-Maskierung dieses Untoten lässt schon ahnen, dass hier die Sonne lange nicht mehr schien.
Doch interessanterweise ist die „Story“, um die es vielleicht ging – Fleischressende Schmetterlinge, Gehirnwäsche, stinkende Schnecken und ein riesiges Geschöpf, das sich wie Regen auf die Stadt legt – auch mit der subjektiven Story verknüpfbar, die sich parallel dazu in den Köpfen des Publikums weiterspinnt.
Torrinis Spiel und sein Sprachfeuerwerk sind so hochsportiv, das von Langeweile nicht die Rede sein kann. Seine gequälte Kreatur entfaltet sich wie im letzten Aufbäumen vom verängstigten Obdachlosengespent in Unterhose zu einem Derwischartigen Magier, der eingangs und am Ende nochmals, versucht, vor dem zunehmend panisch bezirzten Publikum mit Zaubertricks zu punkten, die nicht gelingen wollen. Abgehalftert hetzt er, sich ständig umziehend von Figur zu Figur und lässt schaurigen Showglamour aufblitzen, verwandelt sich in einen Läufer, der nicht aufhören kann, endlos auf der Stelle tretend, im permanenten Monolog, sieht mit kappenartiger Plastikperücke wie eine Mischung aus Playmobil-Fratze und Willem Dafoe-Fiesling aus, ein androider Einflüsterer, der Gehirnwäsche anpreist. Immer wieder versucht er zu tanzen, wie um sich an die Mechaniken vergangener Lebensfreuden zu erinnern, repetiert zwischen Laufen, Tanzen und Unterhaltungs-, Werbe- und Propagandaworthülsen, ein Sysiphos im Müll, dem der Zugang zur Welt abhanden kam.
Kein Problem, im verzweifelten Entertainer, der gehetzten Gestalt und dem vor drohenden Unheil Fliehenden, den Torrini mit bravourösem Eifer eine Stunde lang wie nebenbei durch seine Wortkaskaden treibt, Identifikationsmöglichkeiten und Verweise auszumachen.
Auch sein akustischer Einsatz eines ferngesteuerten Spielzeugpanzers gelingt trotz oder vielleicht gerade wegen des penetranten Wehklagens über dessen Erlahmen virtuos. Das ganze Szenario als zugespitzte politische, soziale und ökologisches Horrorvision vom Ende der Zivilgesellschaft, vielleicht in Europa, vielleicht weltweit, macht neugierig auf den Autor des Stücks, den rumänisch-französischen Schriftsteller Matei Visniec, der mit seinem „Theater des Zerfalls“ laut Programmheft den „entwürdigenden Zustand des seelischen, körperlichen und sozialen Verfalls abzubilden“ versucht.
Von Tazio Torrinis Spiel bleibt einiges haften, vielleicht gerade durch ein nicht hundertprozentigen Sprachverständnis schärft er ästhetisch den Blick für die Dauerbeschallung durch erbarmungslose Phrasen im medialen Alltagswahnsinn, der auch im „Uns geht’s ja noch Gold“ – Routine lauert: Der Groteske des Konsums. Auch dem von Unterhaltung.